«Diese Seite ist mein Lebenswerk»
Freitagsgespräch Der Dietiker Steffen Hung betreut die Internetseite hitparade.ch
Matthias Kessler
Die Computerleidenschaft des Dietikers Steffen Hung begann früh. Über die Weihnachtsfeiertage des Jahres 1983 brachte sein Vater, der damals als Leiter einer EDV-Abteilung arbeitete, zum ersten Mal einen Computer mit nach Hause. «Ich war sofort fasziniert», erinnert sich der heute 26-Jährige zurück. Er habe den Rechner in jener Zeit vor allem für Spiele benutzt. Allerdings sei es immer zu kleinen Kämpfen mit seinen beiden älteren Schwestern gekommen, wer denn nun den Computer benutzen dürfe.
Zwei Jahre später schaffte sich Familie Hung einen eigenen Computer an, der «mit allem Drum und Dran über 13 000 Franken» kostete. Klein Steffen, mittlerweile Primarschüler im Dietiker Schulhaus Wolfsmatt, begann sich nun für die Programmierung der Maschine zu interessieren. «Ich habe mir Computer-Zeitschriften gekauft und die Programmierlisten abgetippt.» Herausgekommen seien zwar nur einfache Grafiken – «aber es war eine gute Übung, um in die Computersprache hineinzukommen.» Ohne je einen Kurs zu besuchen, arbeitete sich Hung immer tiefer in die Materie ein, rüstete den Familiencomputer eigenhändig auf und bekam schliesslich Ende der 80er Jahre seinen ersten eigenen Computer. Mit der raschen Entwicklung der Computertechnologie und dem Aufkommen des Internets in der ersten Hälfte der 90er Jahre eröffneten sich ihm völlig neue Horizonte. Im Dezember 1995 kreierte er seine erste Homepage, auf der er die Schweizer Musikhitparade veröffentlichte.
Wie kamen Sie auf die Idee, eine Seite zur Hitparade zu gestalten?
Steffen Hung: Obwohl das Internet damals noch im Anfangsstadium stand, hiess es bereits, dass man darin alles finden könne. Nach der Schweizer Hitparade suchte ich aber vergebens und beschloss deshalb, die Daten vom Teletext abzuschreiben und auf einer eigenen Homepage ins Netz zu stellen.
Schon in jungen Jahren habe er sich für die Hitparade interessiert, fährt er fort. «Als ich 1984 meinen ersten Kassettenrecorder geschenkt bekam, habe ich regelmässig die kompletten Radiosendungen aufgenommen.» Die eigene Internetseite zur Hitparade habe ihm dann schliesslich die Möglichkeit zur perfekten Kombination seiner verschiedenen Vorlieben geboten – Computer, Musik sowie Zahlen und Statistiken. So aktualisierte er seine Seite ab dem Zeitpunkt ihrer Aufschaltung Ende 1995 Woche für Woche. Doch Mitte des Jahres 1997 – Hung hatte an der Kantonsschule Limmattal in Urdorf eben die Matur bestanden – folgte der grosse Schock. Er erhielt einen eingeschriebenen Brief, in dem er zu einem Treffen mit dem Anwalt der International Federation of Producers of Phonograms and Videograms (IFPI) Schweiz, der Inhaberin der Rechte zur Veröffentlichung der Schweizer Hitparade, aufgeboten wurde.
Was war passiert?
Hung: Die IFPI hatte meine Seite entdeckt. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass auf den Daten der Hitparade ein Copyright war. Ich traf mich dann für ein Gespräch mit dem Anwalt der IFPI. Dabei wurde mir ein Vergleich in Aussicht gestellt, wonach alle Forderungen gegen mich fallen gelassen würden, wenn ich mich schuldig bekenne und die Seite vom Netz nehme.
Die Seite blieb aber nur drei Tage offline. Wie erreichten Sie, dass die Seite wieder aufgeschaltet werden durfte?
Hung: Ich machte auf der Seite anstelle der Hitparadenliste einen Aufruf. Ich forderte jene Benutzer, die die Abschaltung bedauerten, auf, mir ein entsprechendes Mail zu schreiben. Darauf erhielt ich rund 30 Mails, die ich umgehend an die IFPI weiterleitete. Dort sah man ein, dass meine Seite ein Bedürfnis deckte und erlaubte mir die Wiederaufschaltung. Kurze Zeit später wurden mir die Veröffentlichungsrechte für die Schweizer Hitparade im Internet per Vertrag zugesichert.
Seit dieser Zeit, in der er auch begann an der Universität Zürich Wirtschaftsinformatik zu studieren und an der Schweizer Börse als Programmierer zu arbeiten, baute Hung die Seite kontinuierlich aus. Im Jahr 2000 folgte der grösste Entwicklungsschub. Über einen Eintrag im Gästebuch auf seiner Seite lernte er jemanden kennen, der über alle Listen der Schweizer Hitparade seit Anbeginn der Erhebungen 1968 verfügte. In zeitintensiver Handarbeit wurden die Angaben von Hung und einigen Freunden in eine Datenbank eingegeben und in ein umfassendes Archiv für die Seite umgewandelt.
Im letzten Jahr vollzog der Dietiker schliesslich jene Neuerung,
durch die – wie Hung es formuliert – «die Leute an die Seite
gebunden wurden.» Er programmierte eine Review-Hitparade, bei der jeder
User sein eigenes Urteil über jedes beliebige Lied abgeben kann. «Einige
Leute sind inzwischen beinahe süchtig danach», schmunzelt er. So habe einer
der Benutzer bereits über 7000 Lieder beurteilt.
All die Neuerungen bedeuten einen Riesenaufwand, und alles ohne finanzielle Entschädigung. Was ist Ihre Motivation?
Hung: Mir bedeutet diese Seite sehr viel. Ich habe mir durch sie in den vergangenen acht Jahren etwas aufgebaut – sie ist sozusagen mein Lebenswerk. Sie wird von Medien wie dem Schweizer Musiksender Viva, aber auch von Privatpersonen benutzt und geschätzt. So konnte ich im letzten Jahr über eine Million Besucher verzeichnen und dank meiner Arbeit für die Seite auch schon gute Kontakte knüpfen. Es gibt zudem Leute, die denken, es stehe eine Firma dahinter. So hatte ich lustigerweise schon einige Anfragen, ob ich zufällig eine offene Stelle hätte.
Wie sehen Ihre Pläne für die nähere Zukunft aus?
Hung: Ich möchte Ende dieses Jahres mein Studium abschliessen. Danach werde ich weiter in meinem jetzigen Job an der Börse arbeiten. In Sachen Internet habe ich einige Projekte am Laufen – einerseits sollten in diesem Jahr nach und nach alle auf der Seite vermerkten Lieder als 30-sekündige Hörprobe verfügbar sein, andrerseits bemühe ich mich um die Internetrechte der österreichischen Hitparade.
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