Natur
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Physik kann einen in Bann schlagen.
Zum Glück braucht niemand ein Einstein zu sein, um die physikalischen Grundlagen alltäglicher Phänomene wie Regenbogen, Klang einer Kirchenglocke oder Blau des Himmels zu verstehen. Vor allem dann nicht, wenn jemand die Materie so verständlich und kompakt darbietet wie Ambros P. Speiser. |
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Das Spektrum der Physik ist immens:
Mechanik, Akustik, Wärmelehre, Elektrizität, Elektronik... Die
«Naturwissenschaft von der unbelebten Welt, ihrem Aufbau, ihren Strukturen
und Gesetzen, die der Messung, experimentellen Überprüfung und
der mathematischen Darstellung zugänglich ist», liefert ein immer
detaillierteres Bild der Welt, vom Urknall bis zum Big Crunch (falls das
Universum geschlossen ist). Genauso spannend wie die Antworten auf grosse
Fragen sind die Erklärungen, die sich mit den Erscheinungen des Alltags
befassen. Wissen Sie (noch), warum der Himmel blau ist oder warum vier 25-Watt-Birnen weniger Licht geben als eine 100-Watt-Birne? Sollten Sie es vergessen haben, ist es an der Zeit, das Wissen auf vergnügliche Art aufzufrischen. Einige Rosinen seien hier herausgepickt. |
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Zeit
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Keine andere physikalische Grösse
kann heute so exakt gemessen werden wie die Zeit. 1 Sekunde ist definiert
als die Dauer von 9 192 631 770 Schwingungen der Caesium-Atomuhr. Die Zeit ist von der Erdrotation unabhängig geworden. Zum Glück, denn die Erde dreht sich wegen der Bremswirkung der Gezeiten (Ebbe und Flut) pro Jahr um 20 µs langsamer, was die Tage ständig länger werden lässt zumindest für die Messgeräte von PhysikerInnen. Seit 1983 ist auch der Meter als Zeitintervall definiert: Es ist die Distanz, die das Licht in 1/299 792 458 Sekunde zurücklegt. Die Lichtgeschwindigkeit von knapp 300000 km/s ist damit zu einer wichtigen Naturkonstanten geworden. |
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Hören
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Männer sprechen mit einer Grundfrequenz
um 110 Hertz (Hz), Frauen um 250 Hz. Das Telefon überträgt jedoch
nur einen Frequenzbereich zwischen 300 und 3400 Hz; auch die winzigen Lautsprecher tragbarer Kassettenrekorder und Minidisc-Player können keine tiefen Töne übertragen. Warum hören wir sie trotzdem? Neben dem Grundton erzeugt jede Tonquelle (Instrument, Stimme) auch schwächere höhere Töne, die in einem ganz bestimmten Abstand zum Grundton stehen. Aus diesen leisen Obertönen kann das Ohr den Grundton rekonstruieren: eine erstaunliche Leistung. Wir hören somit Töne, die es gar nicht gibt! Wussten Sie, dass der Schlagton einer Kirchenglocke in der Regel ebenfalls kein wirklicher physikalischer Ton ist, sondern vom Gehirn aus vielen Teiltönen zusammenkomponiert wird? Die musikalische Akustik schlägt die Verbindung vom physikalisch Beschreibbaren und dem kulturell-geistig Erlebten. Der wohlklingende Dur-Dreiklang kann mit dem Verhältnis 4:5:6 beschrieben werden. Warum erscheint uns ein Moll-Dreiklang ebenso angenehm, obwohl er das dissonante Verhältnis 10:12:15 aufweist? Ambros Speiser bricht an solchen Stellen mutig sein Fachgebiet auf: «Die Grenze zwischen dem exakt Messbaren und dem subjektiv Erlebten ist hier überschritten... Die Fähigkeit, Musik zu hören und zu geniessen, gehört zu den schönsten Gaben der Natur an die Menschen. Eine physikalische Beschreibung dieses Vorgangs ist nicht möglich und auch nicht wünschbar.» |
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Sehen
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Die Augen sind unser Hauptsinnesorgan.
Ein «Zufall» der Natur: Das Spektrum des sichtbaren Lichtes
wird weder durch die Atmosphäre noch durch das Wasser aus dem
der Augapfel zur Hauptsache besteht nennenswert absorbiert und kann
die Sinneszellen der Netzhaut erregen. Eine Textstelle aus dem Buch möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Wussten Sie, dass heute schon ein Bildwandler für Farbbilder mit höchst bemerkenswerten Eigenschaften erhältlich ist? «Automatische Fokussierung von 15 cm bis unendlich, automatische Helligkeitseinstellung über 7 Zehnerpotenzen (23 Lichtwertzahlen); zweiachsig gelagert mit Antriebsmotoren, halbautomatische Verfolgung eines frei wählbaren bewegten Objekts; als Doppelkamera lieferbar; lichtempfindliche Schicht mit 108 Bildpunkten, vollintegriert mit einem VLSI-Schaltkreis zur Datenkompression auf 106 Datenkanäle; Schnittstelle zum Anschluss an einen grossen Parallel-Prozessor für die Auswertung von Stereobildern; ultrakompakt, Lebensdauer bis gegen 100 Jahre... Der Fachmann wird einwenden, das sei eine Falschmeldung, es sei nach dem Stand der Technik unmöglich. Er möge nochmals nachlesen: Was er gelesen hat, ist im Fachjargon der Mikroelektroniker eine Beschreibung des menschlichen Auges!» MalerInnen wie WebdesignerInnen kommen im Kapitel über die additiven und subtraktiven Farben auf ihre Kosten. Wo die Physik nicht erklären kann, warum eine Mischung von orangem und grünem Farbstoff partout nicht Gelb ergeben will, zeigt der Autor, warum es keine einfache Antwort gibt: weil das Sehen ein physiologischer und psychologischer Vorgang ist. Der Disput zwischen Newton und Goethe über die Natur der Farben wird nochmals aufgerollt und beide Anschauungen werden gewürdigt. Viele Naturerscheinungen des Lichts werden beschrieben: Abendrot, Polarlicht, Aurora, Halo, Glorie und Brockengespenst, Blitz und Donner... und auch der Regenbogen. Steht die Sonne tief hinter uns und scheint auf eine Regenwand vor uns, wird das Licht in den Wassertropfen gebrochen (Refraktion) und gestreut (Dispersion) in seine Spektralfarben (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett) zerlegt und zurückgeworfen (Reflexion). Die Vorgänge sind so komplex vor allem das Phänomen der Interferenz , dass eine vollständige Beschreibung erst seit 25 Jahren vorliegt. Kapitel über Roboter, Sensoren, Schalter, Elektrizität, (Mikro-) Elektronik, Wellen runden das gelungene Buch ab; in ihnen werden auch medizinische Bereiche wie Ultraschall, EEG, EKG, RTM behandelt. Jürg Lendenmann Prof. Dr. h. c. Speiser diplomierte als Elektroingenieur an der ETHZ, forschte bei IBM und ABB und unterrichtete Computerwissenschaften an der ETH. Prof. Speiser war Präsident der Technischen Wissenschaften. |
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Ambros P. Speiser: Regenbogen,
Licht und Schall. Naturphänomenen auf der Spur. Hirzel, 2000. VGS-Bestellservice: 01 456 30 17 oder über www.vgs.ch |
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Erschienen im VGS-Gesundheitsmagazin
Oktober 2001 >> pdf 330 kB |
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