Ernährung
 
   
Die Mittelmeerdiät  
         
   
Die Mittelmeer- oder Kretadiät war vor 2 Jahren in aller Leute Munde: Olivenöl, Gemüse, Obst, Fisch, Pasta, Brot und ein Gläschen Wein. Kann auch heute noch zur Schlemmerei wie in Frankreich, Italien und Griechenland geraten werden?
Kretadiät
 
       
    Es gab kaum einen Verlag mit Gesundheits-Ratgeber, der nicht vor 2–3 Jahren ein Buch über die Mittelmeerdiät herausgab – trotzdem Diäten sehr kurzlebig sind. Nur die erfolgreichsten liegen mehr als wenige Monate in den Auslagen der Buchhandlungen, dann folgt die nächste «revolutionäre» Diät. Kaum wurde die Mittelmeerdiät unlängst von der Blutgruppendiät überflügelt, versuchte eine «mediterrane Blutgruppendiät» die Vorzüge beider Diäten miteinander zu vereinigen.  
       
    Komplexe Materie  
    ErnährungswissenschaftlerInnen haben einen schweren Stand, denn neue Studien werden laufend publiziert. Bei dieser Geschwindigkeit fällt es schwer, verbindliche Richtlinien zu geben. Heutige Erkenntnisse können morgen schon überholt sein – sei es, dass in alten Untersuchungen methodische Fehler entdeckt werden, sei es, dass Studien brisante neue Zusammenhänge aufdecken und die WissenschaftlerInnen zwingen, frühere Schlussfolgerungen zu revidieren.  
       
    7-Länder-Studie  
    Es begann mit der 7-Länder-Studie. Sie sollte klären, welcher Zusammenhang besteht zwischen der Ernährung und dem Auftreten von Erkrankungen der Herzkranzgefässe. 12763 Männer aus sieben Ländern wurden untersucht. Das vom amerikanischen Forscher Ancel Keys geleitete Projekt startete 1958 und sieben Länder nahmen daran teil: Finnland, Griechenland (Korfu und Kreta), Holland, Italien, Japan, Jugoslawien und die USA. Ergebnisse wurden 1970, 1980 und 1986 vorgelegt und 1991 interpretiert.

Es zeigte sich, dass in den Mittelmeerländern arterielle Gefässerkrankungen (Arteriosklerose, Erkrankungen der Herzkranzgefässe) als Todesursache wesentlich seltener auftreten als in den nördlichen und westlichen Ländern. Die mit Abstand besten Werte zeigte Kreta; auch bei der Zahl der Krebserkrankungen zeigte Kreta die niedrigsten Werte. Da Faktoren wie Lebensstandard, Umweltbelastung und Stress sich in den sieben Gruppen kaum nennenswert unterschieden, musste der Grund in der Ernährung liegen.
 
       
    Jungbrunnen Olivenöl  
    Der Fettkonsum ist rund ums Mittelmeer sehr hoch; in Kreta nehmen die Bewohner bis 40% der Kalorien in Form von Fett zu sich. Ein Gläschen Olivenöl zum Morgenessen ist nichts Aussergewöhnliches. Wie konnte dieses Öl, das zur Hauptsache aus einfach ungesättigten Fettsäuren bestand, dieses Resultat zustande bringen? Bisher hatte man geglaubt, dass Öle gesünder sind, die vor allem mehrfach ungesättigte Fettsäuren enthalten, wie Sonnenblumen-, Walnuss- oder Distelöl. Verschiedene Faktoren wurden genannt: der Vitamin-E- Gehalt (Vitamin E fängt Radikale ein), die Blutdruck senkende Wirkung des Inhaltsstoffes Oleuropein, omega-3- (Linolen, Eicosapentaen- und Docosapentaensäure) und omega-6-Fettsäuren (Linolsäure) und von Squalenen sowie die Bedeutung der Ölsäure für die Bildung der Zellwände und der Entwicklung von Gehirn und Nervensystem.
Mit grossen Geldmitteln wurde 1996 versucht, den Konsum des «Flüssigen Goldes» (Zerbst, 34), «Grünen Goldes» (Zerbst, 34), «Lebenselixiers» und (Zerbst, 6) «Wunder-Öls» (Zerbst, 7) anzukurbeln. Heute ist die erste Euphorie verflogen. Auch beim Olivenöl hat die Konsensuskonferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Januar 2000 in London die früheren Ergebnisse relativiert: In Kreta sollen nun ebenfalls andere Öle mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren für die sensationellen Werte verantwortliche sein. (Pollmer, 221).
 
       
    Olivenöl  
       
    Leben wie die Eskimos – in Alaska  
    Wie komplex die Sachverhalte liegen können, zeigte schon die Eskimo-Diät: Die Inuit (Eskimos) verzehren grosse Mengen an Fett; trotzdem weisen sie eine 10fach niedrigere Herzinfarktrate auf als Dänen – aber auch als Eskimos, die in Dänemark leben. Ernährung und Lebensbedingungen können nicht voneinander getrennt werden! (Ham, 74) Ebenso scheinen die Menschen rund ums Mittelmeer ihr gesundes Herz nicht dem Verzicht auf Fleisch und tierische Fette zu verdanken. Denn in den letzten 30 Jahren stieg der Fleischkonsum in den Mittelmeerländern stetig an und erreicht heute Werte, wie sie in den anderen westlichen Nationen üblich sind. Trotz diesem Trend zur «ungesunden» Ernährung gingen die Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems in diesem Zeitraum zurück.  
       
   
«Die Nahrung

sei deine

wichtigste Medizin»


Hippokrates
 
     
    Ein Gläschen in Ehren  
    Man muss es nicht gerade so pointiert formulieren wie Udo Pollmer und Susanne Warmuth: «...bietet sich eine ganz andere Gemeinsamkeit als des Rätsels Lösung an: die Sieben-Länder-Studie weist für die Mittelmeerregion mit 43 Gramm pro Kopf und Tag den höchsten Alkoholkonsum auf (das ist ein halber Liter Wein für jedermann, vom Säugling bis zum Greis). Womöglich ist die Mittelmeer‹diät› wirklich besser fürs Herz, dann aber in einem anderen Sinne, als es sich ihre Protagonisten
vorgestellt haben. Essen, was schmeckt, und dazu einen guten Tropfen geniessen.»
 
       
    Das Leben geniessen  
    Die Kreta-Diät unterscheidet sich von anderen Diäten in einem nicht unwichtigen Punkt: Sie schmeckt einem und man darf auch «sündigen». Soll die Diät ähnlich wirken wie bei den Kretern, Italienern, Franzosen..., dann sollte deren Lebensstil übernommen werden: optimistische Lebenseinstellung, wenig Stress, viel Sonne. Dann hat man das Beste getan – für die Herzkranzgefässe.
 
       
  Quellen

Lexikon der populären Ernährungsirrtümer. Udo Pollmer, Susanne Warmuth, Eichborn, geb., 361 S.

Gesund durch Wein. Dr. Günter Theis. Ratgeber Ehrenwirth, brosch., 139 S.

Vitalkost für Ihr Herz. Prof. Dr. troph. Michael Hamm, Prof. Dr. med. Helmut Gholke, Angelika Merklin. Trias, geb., 190 S.

Die sensationelle Kreta-Diät. Dr. med. Peter Schleicher. Mosaik, geb. 175 Seiten.

Die mediterrane Blutgruppendiät. Sylvie Hindenberger/Christopher J. Hammond, Midena, geb., 96 S.

Olivenöl – das Gesundheits-Geheimnis des Südens. Marion Zerbst. Trias, brosch., 128 S.
 
     
 
Text: Jürg Lendenmann

Erschienen im VGS-Gesundheitsmagazin
Juli/August 2001  >> pdf 300 kB