Fernöstliches

 

 

Der Weg der Kaiserin

 

 
 

«Jede Frau kann Kaiserin sein» beginnt das provokative Buch der Sinologin und Ärztin für chinesische Medizin Christine Li und der Soziologin und Medizinjournalistin Ulja Krautwald. Moderne Frauen sind dabei, alte chinesische Geheimnisse weiblicher Lust und Macht für sich zu entdecken – eine abenteuerliche Reise, auf der es viele Klippen zu umschiffen gilt.

 
 

Wu Zhao (Wu Zetian) wurde vor über 1000 Jahren in der Provinz Sichuan geboren. Sie war Konkubine, Nonne, Frau des Kaisers und schliesslich Alleinherrscherin; Sexualmagie und Macht prägten ihr Leben. «Der Weg der Kaiserin» versucht, dieses beispiellose Leben modernen Frauen zugänglich und – auf einer inneren Ebene – nachvollziehbar zu machen.

Nicht nur für Frauen
Die drängende Sprache erlaubt keine geruhsame Lektüre, zu dicht ist der Inhalt, zu unbequem die Themen, zu belehrend die Autorinnen, zu stechend die Widersprüche. Kraftvoll, magisch, originell liest sich das Buch – wie die Werke Luisa Francias oder Heide Göttner-Abendroths. In zehn Kapiteln werden zentrale Entwicklungsphasen eines Frauenlebens mit seinen typischen Herausforderungen und Lebensaufgaben dargestellt; die Parallelen zwischen dem China der Tang-Dynastie und der Moderne sind oft verblüffend – zumindest in psychologischer Hinsicht. Mag modernen Menschen vieles magisch vorkommen: altes Wissen – auch um chinesische Sexualmagie und Medizin – lebt überall neu auf und ergänzt in der Regel wohltuend einseitige westliche Sichtweisen. Dass Texte über/von Frauen die Zeit überdauern konnten, ist Grund genug, sich mit ihnen innig auseinander zu setzen – auch, oder gerade, wenn man wie der Rezensent ein Mann ist.


Nahrung als Medizin

In jeder Lebensphase können bestimmte Befindlichkeitsstörungen auftreten. Wie bewusste Ernährung eingesetzt werden kann, um diese zu behandeln, darauf verweist das Buch eindrücklich. Als Beispiel möge ein Abschnitt aus Kapitel 3 gelten: «Die Kaiserin ernährt sich bewusst, um die Feuchtigkeit auszutrocknen: Süssigkeiten, Säfte, Schweinefleisch und Milchprodukte vermeidet sie. Sie isst weniger Weizenerzeugnisse und bevorzugt eher Gersten- und Roggenbrot. Sie weiss, Melonen und Kürbisse leiten die Feuchtigkeit aus, diese geniesst sie reichlich. Bei Melonen ist das Fruchtfleisch dicht an der Schale besonders wirkungsvoll. Auch Hirse wirkt festigend. Erhitzende Wirkung haben Fleisch, Alkohol und scharfe Gewürze, darum geniesst sie diese sparsam.»
Es wird noch einiger Aufklärungsarbeit bedürfen, bis im Westen Nahrungsmittel nicht nur als Quelle von Energie und Nährstoffen angesehen, sondern sie gezielt auch als «Heilmittel» genutzt werden.

 

 
 

Chinesische Diätetik

Bei der chinesischen Ernährungslehre steht die Wirkung eines Lebensmittels im Vordergrund und nicht dessen Gehalt an Kalorien und Nährstoffen. Nahrungsmittel führen dem Körper Lebenskraft (Qi) zu. Das Qi zirkuliert im Körper in Leitbahnen – den aus der Akupunktur und -pressur bekannten Meridianen. Ist das Qi unausgewogen, spricht man von Krankheit. Das Qi der Nahrungsmittel kann eingesetzt werden, um korrigierend einzuwirken. Nahrungsmittel werden nach verschiedenen Gesichtspunkten eingesetzt: Temperaturverhalten (kalt, erfrischend, neutral, warm, heiss), Geschmacksrichtung (sauer, bitter, süss, scharf, salzig), energetische Wirktendenz und ihr Bezug zu bestimmten Funktionskreisen/Meridianen.

 


Kräutertees und Meditation

Statt bei Unpässlichkeit gleich mit grobem Geschütz aufzufahren, lohnt es sich in der Regel, alternative Therapien auszuprobieren – wie etwa die chinesische Kräutermedizin. Wer seine inneren Energien wirkungsvoll regenerieren will, kommt allerdings nicht darum herum, die Vorstellungskraft zu stärken und den Geist zu beruhigen; einfache daoistische Meditationsübungen zeigen, was täglich eingenommen – praktiziert werden soll.


Nahrung für den Geist
Ebenso wichtig, wie den Körper optimal mit Nährstoffen zu versorgen, ist auch die sorgfältige Auswahl an geistiger Nahrung. Gerne beherzigen wir den Ausspruch eines chinesischen Dichters «Wenn ich drei Tage kein edles Buch lese, verliere ich die Kräfte der Sprache» oder nehmen uns zu Herzen, was ein Gelehrter schrieb: «Edle Menschen schliessen ihre Freundschaften wegen des gemeinsamen Dao. Unedle knüpfen Beziehungen aus Profitgründen.»


Essenz für den Körper
Öfter noch im Buch ist die Rede von der Essenz (Lebensenergie) und davon, wie dieses Kleinod bewahrt und genährt werden kann. Spätestens in der zweiten Lebenshälfte soll sich (mindestens) ein Liebhaber aufdrängen, wobei ein Zungentest hilft, weniger geeignete Kandidaten auszuscheiden. Vor allem aber: «Jung muss er sein, und reich an Essenz.» Ob die alten Rezepte auch heute noch gültig und praktikabel sind? Eine Knacknuss für angehende Kaiserinnen!


Magie und Archetypen
«Dieses Buch... ist kein Ratgeber, es wirkt von selbst beim Lesen. Die kaiserliche Leserin lehnt sich zurück, öffnet die Augen und schaut.» Schade, dass das Buch nicht weiteres Material – mit Quellenangaben! – verwendet, um Wu Zhao realistischer nachzuzeichnen. Von wem die Originaltexte – aussergewöhnlich: «Das Buch der Nonne» – verfasst wurden, wird leider nicht erwähnt; noch interessanter zu erfahren wäre es, wie alt die Texte sind... sollen doch die ersten, von Konfuzianern verfassten, Berichte über die Kaiserin erst 300 Jahre nach ihrem Tode entstanden sein.

Dass alte Geschichten über Wu Zhao überlebten (und noch wacker weitergesponnen werden), verdanken sie weniger ihrer historischen Präzision als ihrem dichten archetypischen Gehalt. Viele Passagen erinnern an Mythen, Legenden oder die Bibel: «Doch die Mutter bewahrt die Prophezeiung im Herzen...» Im Vordergrund steht daher nicht die historische Gestalt, sondern eine Menge von Archetypen (Urbilder nach C. G. Jung), die in uns zum Leben erweckt werden: göttliches Kind, Heldin, Herrscherin, Heilige, Grosse Mutter, Weise. Selbst für psychologisch geschulte Menschen ist es schwierig, Tatsachen und Träume, Menschliches und Mythisches voneinander zu trennen. Nur einem metallisch-scharfen Verstand wird es gelingen, Symbolisches und Greifbares, Inneres und Äusseres voneinander zu trennen. Es ist in der Tat ein Buch für Kaiserinnen.

Jürg Lendenmann

 

 

Christine Li · Ulja Krautwald:
Der Weg der Kaiserin.
Gebunden, 250 Seiten, Fr. 39.90.

Zum Bestellen bei der VGS:
Tel. 01/456 30 10 oder direkt auf unserer Bücherangebotseite.

Tipp
Die Internet-Site www.derwegderkaiserin.de des Scherz-Verlages lohnt einen Besuch

 
   
Erschienen im VGS-Gesundheitsmagazin • Mai 2001 – pdf (150kB)