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Wu Zhao (Wu Zetian)
wurde vor über 1000 Jahren in der Provinz Sichuan geboren. Sie war
Konkubine, Nonne, Frau des Kaisers und schliesslich Alleinherrscherin;
Sexualmagie und Macht prägten ihr Leben. «Der Weg der Kaiserin»
versucht, dieses beispiellose Leben modernen Frauen zugänglich und
auf einer inneren Ebene nachvollziehbar zu machen.
Nicht nur für
Frauen
Die drängende Sprache erlaubt keine geruhsame Lektüre, zu dicht
ist der Inhalt, zu unbequem die Themen, zu belehrend die Autorinnen, zu
stechend die Widersprüche. Kraftvoll, magisch, originell liest sich
das Buch wie die Werke Luisa Francias oder Heide Göttner-Abendroths.
In zehn Kapiteln werden zentrale Entwicklungsphasen eines Frauenlebens
mit seinen typischen Herausforderungen und Lebensaufgaben dargestellt;
die Parallelen zwischen dem China der Tang-Dynastie und der Moderne sind
oft verblüffend zumindest in psychologischer Hinsicht. Mag
modernen Menschen vieles magisch vorkommen: altes Wissen auch um
chinesische Sexualmagie und Medizin lebt überall neu auf und
ergänzt in der Regel wohltuend einseitige westliche Sichtweisen.
Dass Texte über/von Frauen die Zeit überdauern konnten, ist
Grund genug, sich mit ihnen innig auseinander zu setzen auch, oder
gerade, wenn man wie der Rezensent ein Mann ist.
Nahrung als Medizin
In jeder Lebensphase können bestimmte Befindlichkeitsstörungen
auftreten. Wie bewusste Ernährung eingesetzt werden kann, um diese
zu behandeln, darauf verweist das Buch eindrücklich. Als Beispiel
möge ein Abschnitt aus Kapitel 3 gelten: «Die Kaiserin ernährt
sich bewusst, um die Feuchtigkeit auszutrocknen: Süssigkeiten, Säfte,
Schweinefleisch und Milchprodukte vermeidet sie. Sie isst weniger Weizenerzeugnisse
und bevorzugt eher Gersten- und Roggenbrot. Sie weiss, Melonen und Kürbisse
leiten die Feuchtigkeit aus, diese geniesst sie reichlich. Bei Melonen
ist das Fruchtfleisch dicht an der Schale besonders wirkungsvoll. Auch
Hirse wirkt festigend. Erhitzende Wirkung haben Fleisch, Alkohol und scharfe
Gewürze, darum geniesst sie diese sparsam.»
Es wird noch einiger Aufklärungsarbeit bedürfen, bis im Westen
Nahrungsmittel nicht nur als Quelle von Energie und Nährstoffen angesehen,
sondern sie gezielt auch als «Heilmittel» genutzt werden.
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Chinesische
Diätetik
Bei der chinesischen Ernährungslehre steht die Wirkung eines Lebensmittels
im Vordergrund und nicht dessen Gehalt an Kalorien und Nährstoffen.
Nahrungsmittel führen dem Körper Lebenskraft (Qi) zu. Das Qi
zirkuliert im Körper in Leitbahnen den aus der Akupunktur
und -pressur bekannten Meridianen. Ist das Qi unausgewogen, spricht man
von Krankheit. Das Qi der Nahrungsmittel kann eingesetzt werden, um korrigierend
einzuwirken. Nahrungsmittel werden nach verschiedenen Gesichtspunkten
eingesetzt: Temperaturverhalten (kalt, erfrischend, neutral, warm, heiss),
Geschmacksrichtung (sauer, bitter, süss, scharf, salzig), energetische
Wirktendenz und ihr Bezug zu bestimmten Funktionskreisen/Meridianen.
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Kräutertees und Meditation
Statt bei Unpässlichkeit gleich mit grobem Geschütz aufzufahren,
lohnt es sich in der Regel, alternative Therapien auszuprobieren
wie etwa die chinesische Kräutermedizin. Wer seine inneren Energien
wirkungsvoll regenerieren will, kommt allerdings nicht darum herum, die
Vorstellungskraft zu stärken und den Geist zu beruhigen; einfache
daoistische Meditationsübungen zeigen, was täglich eingenommen
praktiziert werden soll.
Nahrung für den Geist
Ebenso wichtig, wie den Körper optimal mit Nährstoffen zu versorgen,
ist auch die sorgfältige Auswahl an geistiger Nahrung. Gerne beherzigen
wir den Ausspruch eines chinesischen Dichters «Wenn ich drei Tage
kein edles Buch lese, verliere ich die Kräfte der Sprache»
oder nehmen uns zu Herzen, was ein Gelehrter schrieb: «Edle Menschen
schliessen ihre Freundschaften wegen des gemeinsamen Dao. Unedle knüpfen
Beziehungen aus Profitgründen.»
Essenz für den Körper
Öfter noch im Buch ist die Rede von der Essenz (Lebensenergie) und
davon, wie dieses Kleinod bewahrt und genährt werden kann. Spätestens
in der zweiten Lebenshälfte soll sich (mindestens) ein Liebhaber
aufdrängen, wobei ein Zungentest hilft, weniger geeignete Kandidaten
auszuscheiden. Vor allem aber: «Jung muss er sein, und reich an
Essenz.» Ob die alten Rezepte auch heute noch gültig und praktikabel
sind? Eine Knacknuss für angehende Kaiserinnen!
Magie und Archetypen
«Dieses Buch... ist kein Ratgeber, es wirkt von selbst beim Lesen.
Die kaiserliche Leserin lehnt sich zurück, öffnet die Augen
und schaut.» Schade, dass das Buch nicht weiteres Material
mit Quellenangaben! verwendet, um Wu Zhao realistischer nachzuzeichnen.
Von wem die Originaltexte aussergewöhnlich: «Das Buch
der Nonne» verfasst wurden, wird leider nicht erwähnt;
noch interessanter zu erfahren wäre es, wie alt die Texte sind...
sollen doch die ersten, von Konfuzianern verfassten, Berichte über
die Kaiserin erst 300 Jahre nach ihrem Tode entstanden sein.
Dass alte Geschichten über Wu Zhao überlebten (und noch wacker
weitergesponnen werden), verdanken sie weniger ihrer historischen Präzision
als ihrem dichten archetypischen Gehalt. Viele Passagen erinnern an Mythen,
Legenden oder die Bibel: «Doch die Mutter bewahrt die Prophezeiung
im Herzen...» Im Vordergrund steht daher nicht die historische Gestalt,
sondern eine Menge von Archetypen (Urbilder nach C. G. Jung), die in uns
zum Leben erweckt werden: göttliches Kind, Heldin, Herrscherin, Heilige,
Grosse Mutter, Weise. Selbst für psychologisch geschulte Menschen
ist es schwierig, Tatsachen und Träume, Menschliches und Mythisches
voneinander zu trennen. Nur einem metallisch-scharfen Verstand wird es
gelingen, Symbolisches und Greifbares, Inneres und Äusseres voneinander
zu trennen. Es ist in der Tat ein Buch für Kaiserinnen.
Jürg Lendenmann
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