Editorial  – März 2001
Nichts hören, nichts sehen, . . .

Liebe Leserin, lieber Leser

Drei Affen hocken nebeneinander; einer hält sich die Ohren zu, der zweite die Augen, der dritte den Mund. Das sonderbare Verhalten der weltbekannten Dreiergruppe lässt uns nicht nur schmunzeln, sondern auch innehalten.

Nur wenige wissen um die Herkunft der drei Affen: Als Schnitzerei zieren sie den Toshogu-Schrein in Nikko, einer kleinen Ortschaft in den Bergen nördlich von Tokio. Ob wir ihre Botschaft «Nichts Böses hören, nichts Böses sehen, nichts Böses sagen» kennen oder nicht: Die drei Affen berühren uns auf sonderbare Weise – vermutlich darum, weil sie als Symbol viele Schichten unseres Daseins ansprechen.

Wenn wir nichts hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen, ... kann durchaus etwas da sein. Unsere Sinne öffnen nur ein kleines Fenster zur Wirklichkeit: Weder sehen wir eine Pilzspore noch hören wir UKW.

Wirkungen gibt es, auch wenn wir deren Ursachen nicht wahrnehmen können. «Was ich nicht weiss, macht mir nicht heiss» mag fürs Gemüt gelten, aber kaum für Wellen, von denen wir nichts wissen: Sie können unseren Körper durchaus erwärmen.




Auch bei Unsichtbarem – da hätte Paracelsus zugestimmt – kommt es auf die Menge an: Nehmen Hefepilze im Körper überhand, werden wir krank; und wenn wir zu starken Strahlen ausgesetzt sind, reagieren wir mit verschiedensten Befindlichkeitsstörungen. Wir können uns wappnen, mit geeigneten Instrumenten das Spektrum unserer Sinne erweitern und Verborgenes messbar, mithin indirekt sichtbar machen. So können wir frühzeitig Pilzinfektionen entgegenwirken und darüber diskutieren, ob und wann Strahlen uns nützen oder – Stichwort: Elektrosmog – schaden.
Die Flut an Reizen, die auf uns einwirkt, wird immer grösser. Viele Läden versuchen nicht nur, mit Hintergrundmusik KundInnen (kauf)freudig zu stimmen; auch Farben und ätherische Öle sollen dezent die Laune heben. Wir können uns nicht allen Reizen verschliessen, aber lernen, subtile Einflüsse wahrzunehmen und verantwortungsvoller mit ihnen umzugehen.
Es gibt Unsichtbares, das nie mit Apparaturen wird dingfest gemacht werden können: Freude etwa, Humor und Liebe. Wir selber sind das Instrument, das diese Bereiche wahrnehmen kann. Was hindert uns daran, unser Inneres zu erforschen, neue Saiten aufzuziehen, uns harmonischer zu stimmen? Handy und Notebook verhelfen uns nicht nur zu einem zeitgemässem Outfit, sie widerspiegeln auch das aufkeimende vernetzte Denken. Vergessen wir in unserer Technikbegeisterung nicht das Abschalten! Für die geistige und körperliche Gesundheit wertvoll sind gerade «unproduktive» Tätigkeiten wie Spielen, Wandern, Gymnastik. Ob uns die drei Affen von Nikko daran erinnern wollen, wie wichtig es ist, auch das Nicht-Hören, Nicht-Sehen und Nicht-Reden zu üben?
Jürg Lendenmann
Redaktor
   
Erschienen im VGS-Gesundheitsmagazin • Februar 2001 – pdf (70kB)